worte gedanken | tape
4.10.96
Caipirrinia
4.10.96

Alexander Tišma schriebt Tagebuch, jeden Tag. Er ist Schriftsteller. Heute kann er nur noch jede paar Monate ein paar wenige Sätze niederschreiben. Er weiß, wie er schreibt, er weiß, was er schreibt. Dennoch sagt er, es passiert in seinem Leben nicht mehr viel. Es kommen Menschen an in seiner Stadt, heute sind es meist Flüchtlinge. Aber jeder Tag sieht gleich aus. Ich kann diese Haltung nicht verstehen. Aus ihr spricht viel Erfahrung, aber auch viel Resignation. Es kann nicht wahr sein, daß jeder Tag gleich aussieht. Wir bewerten doch selbst, ob jeder Tag gleich aussieht. Wir sehen. Der Tag sieht nicht. Die Straße ist nicht gefährlich, eine Gefahrenstelle kann nicht entschärft werden.

4.11.96
Tiefe Prägung ist z.B. die Aussage Ostbergs, beim Linolschneiden die Ränder stehenzulassen, so das man den Vorgang noch erkennt.
4.11.96
Der Tintenfüller ist ein sehr unsauberer Gast 
4.11.96

Zufrieden sein. Ein tolles Spiel, in dem jeder meint, er spielt die Hauptrolle. Ein kleiner Traum: In einem leeren Zimmer vor einer leeren Wand stehen, nichts sehen, stundenlang. „Ich sehe nichts! Ich erlebe nichts!" Was für eine Talkshow. Arabella Kiesbauer fragt mich:" Was hast du erlebt?" Ich sage: "Gar nichts!", ich sage: „Es war öde, es war langweilig, kein Reiz, kein auffälliges Zeichen, kein Traum mehr, ich habe fünf Jahre lang Werbung gesehen, ich habe keine Träume mehr, nur noch Wünsche!"

28.1.97
Kommuluse- Pillen sind Pillen, die das Altwerden verhindern.

.3.97

Buchtitel im Schaufenster: „Vom Nebelfleck zum Menschen"

13.2.97

This is a historic moment. It´s the first time ever, that a headmaster of an odinary college is leader of the headmasters conference. Right! XS-S-M-L-XL-F: FLASCHENFORMAT im Kleinformat, was würde die Wolfgang-Borchert-AG sagen, wenn sie wüsste, daß du ihre Ideen mit den Flaschen so mißbrauchst, um andere längliche Gegenstände zu transportieren? Kurze Sede, kein Rinn: vielen Dank für den Rotkopf, den ich auf Weißkopf noch nicht untersuchte... Ich glaube an die heilige Kuh, die heiligste aller Kühen, wenn sie denn nur lila ist. „Wo warsch´n, Wasi?" „Ja, ich hab mal ´ne Pause gemacht!" Wir alle brauchen eine Pause. „Trink COCA-COLA!". In Wahrheit: „Enjoy COCA-COLA!" Genuß genießt sich, am besten warm und feucht. Denn ihr ist das Reich und die Lust und die Alm im Sonnenschein. Amen. Und lila heißt zuverlässig. Das wissen wir schließlich aus der Werbung. Also keine Flöhe im Kopf oder auf dem Kopf. Und auch keine Köpfe auf dem Kopf. „Mein Herr, Sie sind sich selbstähnlich!" sagte der Rabbi und schloß leise die Tür hinter sich. Was er nicht wusste: Bald wird Ostern in den Kirchen sein, dann geht die Jagt wieder los, und er wird Schuld auflagen, die er nicht tragen kann. Jedes Jahr wieder. Und die Gußformen für nächstes Weihnachten liegen schon im Schrank. Sie warten auf ihren kleinen Auftritt. The show must go on!

4.1.97

Jesus würde heute mit spätestens 3 Jahren gekreuzigt, das erste mal eben, wenn er seinen Mund aufmacht. Jeder Mensch, der eine Botschaft mit sich führt und sie vor allem aussprechen will, wird heute gekreuzigt, so dröge ist unsere Umwelt(geworden?). Spuck: "Meine Botschaft ist: Die mit Abstand besten Flecken macht immer noch Borschtsch!" Kreuzigt ihn!

20.10.96

Wenn ich ein Rind wäre, wäre 1996 wahrscheinlich ein sehr gutes Jahr, laßt euch das Gras schmecken!!

20.10.96

Werbeanzeige: Arsch `96 gesucht

20.10.96

Ich bin gerade durch Hochstadt gefahren, es hat sich hier nichts in den letzten zwei Jahren geändert, warum auch? Schließlich ist es auch etwas viel verlangt, daß eine Satellitenschüssel dazukommt.

20.10.96

Beta-Blocker usw. ist alles Quatsch.Man muß geriebene Schnurrdosen geben. Separate kätzische Schnurrdosen schmeißen keine Vasen von den Schränken, zerkratzen nicht die Polster und verlängern das Leben trotzdem. Ein fabelhaft neues Gebiet für die Gentechnik (1)

20.10.96

Bekanntschaftsanzeig: Bin 24 und brauche eine Heiratsanzeige!

20.10.96

Was ich nicht festhalte, wird mir auf immer entwischen. Ich habe Angst, es ist unwiederbringlich verloren. Heute kann ich mich daran erinnern, drei gute Ideen gehabt zu haben. Ich habe sie leider vergessen, was ich nicht vergessen habe, ist das Bewusstsein über sie.
20.10.96
Hitler wohnte ab Mai 1913 in der Schleißheimer Straße 34, Wagner komponierte in München „Tristan und Isolde", „Die Meistersinger" und "Das Rheingold". Der „Tod in Venedig" wurde in München geschrieben. Oswald Sprengler verfasste hier „Der Untergang des Abenlandes". In der Schleißheimer Straße 106 wohnte gleichzeitig ein gewisser Herr Meyer, später auch Vladimir Ilitsch Lenin genannt. Was hat eine Stadt mit ihre Geschichte zu tun, was für ein „geistiges Klima" herrscht in München?

20.10.96

In der Spitalgasse stehen zwei Autos, ein schwarzer, hochglanzpolierter Mercedes 190D aus den 60er Jahren, auf seiner Heckablage liegt der Spiegel vom September 1963 mit dem Titel „14 Jahre Adenauer". Im davor geparkten Trabant 601 liegt leider nicht das „Neue Deutschland". Beide zusammen würden ein sehr interessantes Photo ergeben. Mit einem Weitwinkel durch den Trabant zum Mercedes 190. Im Vordergrund die Vergangenheit, an die keiner mehr glaubt, das reine Wunschdenken, die Sehnsucht nach dem, was vergangen ist. Die Projektion von Wünschen auf Erinnerungen, die durch das zeitliche Filtern all ihre Bitterkeit verloren haben. Dahinter das Wirschaftswunder, die Kraft, die Dominanz, aber auch der Mief, 1000jähriges Reich immer noch nicht verdaut, schnell vergessen, peinlich berührt aufgrund von 50 Millionen Toten. Aber: Es gibt keine Kollektivschuld, der Mensch ist fehlbar, sagt der Katholik. 50 Millionen Tote sind nicht mein Problem. Nicht mein persönliches Problem. Ein Problem ist´s für die, die nicht mehr leben, die 50 Millionen Schweigenden. Das alles ummantelt, chromglänzend, unter schwarzem, polierten Lack, wenn man daran kratzt, kommt ein mattes Olivgrün zutage, Mimikri-Militarismus. Daimler hat schon immer daraus Nutzen gezogen. Das Auto davor, so grau es auch ist, ist auch keinen Deut besser. Kein Chrom, wenig Metall, hauptsächlich Plastik. Es war immer schon ein Zeichen der Linken, nicht sofort zuzuschlagen, nicht so hart zuzuschlagen. Sie arbeiten subtil. Es ist nur fair, das Handeln nur an den Auswirkungen zu messen. Dann wird Terror alles andere als „relativ".

20.10.96

Eine gemalte Blume ist auch eine Blumen, nur ohne Duft, und sie überdauert die Echte.
20.10.96

Es ist Montag, der 15. Oktober 1996, ich bin erneut auf dem Weg nach Bayreuth, scheinbar bin ich jede Nacht auf dem Weg nach Bayreuth.

20.11.96
Immer schon habe ich mich gefragt, wie es ist, wenn die neuen, chromglänzenden Autos älter geworden sind. So zehn bis zwölf Jahre nach ihrem Kauf, steht er nun da. Der neue Golf mit seinen Beulen und den vielen Rostflecken. Ganz der Stolz seines Besitzers, so schmutzig. Es ist nun soweit. Die neuen Autos aus der Kindheit stehen ´rum, aber sie fallen nicht mehr auf, so normal wird neu zu alt.
21.9.96
Was direkt an Geld gespart wird, kostet der Einkauf an Zeit. Heute 10 Minuten an der Kasse gestanden, das sind 10 Mark, gespart habe ich 2,00 Mark. Kann eine Wirtschaftlichkeitsrechnung aufgemacht werden? Wie ist Wartezeit zu quantifizieren?
21.9.96

Den Denker als sitzende Person darzustellen, ist das falsche Motiv, der wahre Denker läuft beim Denkvorgang. Das maximale Denken wird durch das Laufen und durch den Dialog erreicht. Laufen ist ein unterbewusster, motorischer Vorgang, Menschen schlafen auch im Laufen. Gleichzeitig ist das Maß an ungefilterter Information, die asoziieren läßt, sehr hoch. Ich stehe oft beim Telefonieren, oder ich liege. Sitzen ist ein nur sehr mittelmäßiger Zustand, warum muß man beim Arbeiten (am Computer) sitzen, es wäre wesentlich sinnvoller, zu tehen, oder zu liegen. Vermerk 03/99: Kaugummikauen erleichtert durch die leichte motorische Bewegung auch das Denken (Uni Erlangen).

21.9.96

Am Ende eines jeden Textes sammeln sich mit der Zeit große Mengen an Zeichen an, die ich mit fortschreitender Dauer im Text vor mir herschiebe. Die Zeichen sind Relikte meiner Korrekturen, Relikte meiner Denkvorgänge, sie werden am Ende eines Textes weggelöscht.

28.1.97
Ein Film über Berlin-Ost, hier in der Straße hat der Dichter Alfred Döblin gewohnt, heute ist hier ein Baugrube, eine reine Brache. Wie kann man einen Ort mit einem Menschen verbinden? Ich sehe einen Ort, der eine lange Geschichte hinter sich hat, an dem viele Menschen Geschichte geschrieben haben, aber diese Geschichten existieren nur in der Erinnerung. Ihr Geist ist noch da- ist er? Eine typische Berufskrankheit: Ich nehme den Ort für zu wichtig. Hat ein Ort eine Seele? Ich sehe eine Leiche vor mir liegen, eine Geisterstadt, seelenlos, ohne Atem. Die Stadt ist ohne Menschen eine Leiche, ein verrottender Körper, anonym, frei für die Interpretation der Nachfahren, die stolz auf sich sind. Wie wichtig muß ich mich selbst fühlen, wenn ich neue Orte schaffe, aber keine Inhalte? Ich bin im Grunde genommen gar nichts. Ich schaffe eien kontrolliertes Feld, das sich mit Leben, mit Stadt, mit Geschichte füllt, eben mit menschlicher Kultur, mit Menschen. Ich schaffe die Leichen, wir alle bringen sie zur Auferstehung.
thomasd
alles was du nicht hast , ist das von dem du glaubst, dass du es verpasst- und was du nicht kriegst, glaubst du dass du es liebst- von was dich bezwingt, glaubst du dass es dir was bringt- und fuer was dich festhaelt, bezahlst du nicht nur mit geld- egal was dir angst macht , du gibst ihm die kraft dafuer.... und du siehst du bist im paradies und haelst doch an der hoelle fest, fuer immer, wenn du jetzt nicht loslaesst...